By Prof. Dr. Karsten Schmid

 

Das Coronavirus hat die Welt nach wie vor fest im Griff. Überall dasselbe Szenario. Steigende Infektionszahlen hielten und halten die Regierungen, die Wirtschaft und auch die Privathaushalte in Atem. Gesundheitssysteme drohten und drohen zu kollabieren. Auf der anderen Seite das Hoffen auf einen baldigen Durchbruch bei der Entwicklung eines hocheffizienten Impfstoffs.

So ähnlich die Situation, so unterschiedlich der Umgang der einzelnen Staaten mit der Krise.

Das zeigt sich nicht nur bei den staatlichen Schutzmaßnahmen gegen die Ausbreitung von COVID-19, sondern auch in anderen Bereichen, etwa dem des Vertragsrechts. „Coronabedingte“ Absagen von Veranstaltungen, Stornierungen von Reisen und Flügen, (existenzbedrohende) Mietzinsverpflichtungen und gestörte Lieferbeziehungen bereiten hier den betroffenen Vertragsparteien rund um den Globus nicht unerhebliche Probleme. Vielfach sind die Vertragsparteien aufgrund der COVID-19-Pandemie nicht in der Lage, ihren vertraglichen Verpflichtungen nachzukommen.

Dass zur Lösung auch dieses Problems unterschiedliche Wege gegangen werden, machen etwa der (deutsche) Art. 240 EGBGB und der US-amerikanische Coronavirus Aid, Relief, and Economic Security Act („CARES Act“)[1] deutlich.

Das „Sonderleistungsstörungsrecht“ des Art. 240 EGBGB

So hatte sich der deutsche Gesetzgeber dazu entschieden, flankierend zu staatlichen Unterstützungsmaßnahmen zur Bewältigung der durch die COVID-19-Pandemie bedingten Vertragsstörungen ein zeitlich befristetes „Sonderleistungsstörungsrecht“[2] zu etablieren. Zu diesem Zwecke wurde Art. 240 EGBGB mehrfach abgeändert und ergänzt.

Das Ziel all dieser Änderungen und Ergänzungen war im Kern dasselbe: Besonders von der COVID-19-Pandemie betroffenen Vertragsparteien wie beispielsweise Verbrauchern, Kleinstunternehmern sowie der Reise- und der Veranstaltungsbranche für einen gewissen Zeitraum Liquidität zu verschaffen, indem ihnen vorübergehend das Recht eingeräumt wurde, vertraglich an sich geschuldete Leistungen nicht erbringen zu müssen, ohne nachteilige Folgen befürchten zu müssen.[3]

Lediglich die Mittel zur Erreichung dieses Ziels waren unterschiedlich. Sie reichten von einem Leistungsverweigerungsrecht („Moratorium“) für besonders wichtige Verträge[4] über Kündigungsbeschränkungen im Mietrecht[5] und Stundungen im Verbraucherdarlehensrecht[6] bis hin zu Gutscheinlösungen[7]. Letztere ermöglichten es Freizeit- und Reiseveranstaltern, dem Inhaber einer Eintrittskarte bzw. eines Tickets statt einer Erstattung des Eintrittspreises einen Gutschein auszustellen, wenn eine Veranstaltung oder eine Reise aufgrund der COVID-19-Pandemie nicht stattfinden konnte.[8]

Beschränkung auf staatliche Unterstützungsmaßnahmen – der CARES Act

Demgegenüber hat der US-amerikanische Gesetzgeber in dem so genannten CARES Act einen anderen Ansatz gewählt.

Bei dem CARES Act handelt es sich um ein zwei Billionen Dollar schweres Hilfspaket – das größte in der Geschichte der USA – welches dazu diente, Familien, Arbeitslosen und Unternehmen in der Krise unter die Arme zu greifen.[9] Der CARES Act wurde ergänzt durch den Paycheck Protection Program and Health Care Enhancement Act[10]. Der CARES Act sieht ein ganzes Bündel von Unterstützungsmaßnahmen vor.[11] Größtenteils beschränkt er sich aber auf die Gewährung einer bestimmten finanziellen Zuwendung an jeden Staatsbürger und Inhaber einer Greencard.[12]

Anders als der deutsche Gesetzgeber in Art. 240 EGBGB hat der US-amerikanische Gesetzgeber im CARES Act also nicht primär auf zivilrechtliche Instrumentarien zurückgegriffen, sondern vielmehr versucht, mit staatlichen Unterstützungsmaßnahmen den von der COVID-19 Pandemie betroffenen Vertragsparteien zu helfen.

Was ist jetzt richtig?

Diese vom Ansatz her unterschiedliche Herangehensweise wirft die Frage auf, welcher Weg denn nun aus rechtssystematischer Sicht der richtige ist.

Ein Anhaltspunkt zur Lösung des Problems ist sicherlich die Überlegung, dass das Zivilrecht im Kern dem Ausgleich von Interessen zwischen Privaten dient. Dies schließt es vom Grundsatz her aus, das Risiko von globalen Katastrophen wie der COVID-19-Pandemie, die letztlich von keiner der Parteien zu vertreten sind, einer der Vertragsparteien zuzuweisen. Ein eventuell gewollter „Lastenausgleich“ müsste so betrachtet – jedenfalls aus kontinentaleuropäischer Sicht – eher in den Bahnen des öffentlichen Rechts erfolgen.[13] Dies spricht für den Weg, den der US-amerikanische Gesetzgeber mit dem CARES Act gegangen ist.

Auf der anderen Seite muss und sollte es möglich bleiben, auf globale Katastrophen auch mit den Mitteln des Zivilrechts zu reagieren. Dies jedenfalls dort, wo das jeweils anzuwendende materielle Zivilrecht zu unbefriedigenden Ergebnissen führt. Dass ein solches Vorgehen auch dem Zivilrecht nicht völlig wesensfremd ist, zeigen im deutschen Recht nicht zuletzt das Institut der Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) und im US-amerikanischen Recht die Common Law Doctrine Frustration of Purpose. Beide Rechtsinstitute sehen eine Vertragsanpassung bei Eintritt unerwarteter Ereignisse vor.[14] Dies wiederum spricht für die Lösung, die der deutsche Gesetzgeber mit Art. 240 EGBGB verfolgt hat.

Hier die richtige Balance zwischen den widerstreitenden Polen zu finden, wird sicherlich eine der Aufgaben bei der Bewältigung der Folgen der COVID-19-Pandemie bleiben und werden. Es bleibt also auch im Zivilrecht und im speziellen im Vertragsrecht weiterhin spannend. Die Diskussion steht erst am Anfang.

 

Zum Autor:

Prof. Dr. Karsten Schmid ist Professor für Zivil- und Arbeitsrecht am Studienort Gelsenkirchen der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung NRW und Mitglied der Redaktion des TLB

 

 

[1] Pub. L. No. 116-136 (27. März 2020).

[2] Liebscher/Zeyher/Steinbrück ZIP 2020, 852

[3] Vgl. Gaier in: Münchener Kommentar zum BGB Art. 240 § 1 EGBGB Rn.1.

[4] Siehe Art. 240 § 1 EGBGB

[5] Siehe Art. 240 § 2 EGBGB

[6] Siehe Art. 240 § 3 EGBGB

[7] Siehe Art. 240 §§ 5, 6 EGBGB

[8] Eibenstein COVuR 2020, 249 (250).

[9] https://de.wikipedia.org/wiki/COVID-19-Pandemie_in_den_Vereinigten_Staaten#cite_note-46 – zuletzt abgerufen am 06.12.2020.

[10] Pub. L. No. 116-139 (24. April 2020)

[11] Siehe hierzu den Überblick des U.S. DEPARTMENT OF THE TREASURY, https://home.treasury.gov/policy-issues/cares – zuletzt abgerufen am 06.12.2020.

[12] Rehder/Schmidt COVuR 2020, 459.

[13] Siehe Martens in: Beckscher Online-Kommentar zum BGB Art. 240 § 1 EGBGB Rn.5.

[14] Siehe hierzu eingehend aus rechtsvergleichender Sicht Rehder/Schmidt COVuR 2020, 459 (463 ff.).