By Dr. Alexander Rahn, LL.M.

COVID hat das Leben in New York von einem Tag auf den anderen jäh zum Stillstand gebracht. Alexander Rahn berichtet, wie sich sein Alltag als New York City Lawyer seitdem verändert hat.

New Yorker Anwaltsleben geprägt von Sozialkontakten

Vor COVID hatte mein Leben als Großkanzleianwalt eine gewisse Routine von Sozialkontakten. Typischerweise stand ich morgens um 7 Uhr auf um ins Equinox Fitnessstudio auf der Greenwich Avenue zu gehen, wo ich für gewöhnlich zahlreichen anderen Großkanzleianwälten begegnete, die sich ebenfalls mit Sport mental gesund hielten. Auf das Büro hatte ich auch Grund mich zu freuen. Wir sind ein geselliges Büro von circa 200 Anwälten. In meiner Praxisgruppe hat sich, im Gegensatz zu den meisten New Yorker Großkanzleien, eine Mittagessenskultur etabliert. Das liegt wohl daran dass die Hälfte des Teams europäisch geprägt ist, aus Ländern wie Belgien, Brasilien, Deutschland und Israel stammt und sich auch nach Jahren die zivilisatorische Errungenschaft des gemeinsamen Essens mit Geschirr und Besteck bewahrt hat.

Ich ging dann fast jeden Nachmittag hier im Financial District einen Kaffee trinken. Das habe ich zu meiner Zeit bei Goldman Sachs gelernt. Banker sind ja viel bessere Netzwerker als Anwälte und für die ist ein Nachmittag ohne Kaffee-Date ein verschwendeter Tag.

Abende waren dann typischerweise „open end“. Ich kam oft erst abends dazu, intensiv an etwas zu arbeiten, wenn der Tag mit all seinen Calls und Meetings vorüber war.

Meine Wochenenden waren üblicherweise zugeplant, unter anderem mit Dinner, Brunch und meinem persönlichen Sonntagshighlight: Zwei Stück Sachertorte im Cafe Sabarsky in der Neuen Galerie im Anschluss an einen Besuch in einem der zahlreichen umliegenden Museen und Ausstellungsräume, vom Metropolitan Museum of Art bis zu 1014 Fifth Avenue, wo Goethe-Institut und Auswärtiges Amt mit Unterstützung des Bundestags eine transatlantische Begegnungsstätte etabliert haben.

Lockdown im April verändert alles

Durch den COVID-Lockdown im April hat sich alles schlagartig geändert.

Zuerst kam die Unsicherheit. An einem Tag geht Bürgermeister Bill de Blasio demonstrativ zu seinem Personal Training ins Fitnessstudio um die Öffentlichkeit zu beruhigen, ein paar Tage später spricht er von einer unmittelbar bevorstehenden „Shelter in Place Order“, bei der wie bei einem bewaffneten Amoklauf alle zu Hause bleiben müssen. Gouverneur Andrew Cuomo sagte dann zu meiner Erleichterung, dass es zu einer solchen „Shelter in Place Order“ nicht kommen werde. Am nächsten Tag verkündet er stattdessen eine „Stay at Home Order“, nach der grundsätzlich alle zu Hause bleiben müssen. Büros, Restaurants, Coffeeshops, Fitnessstudios und Museen wurden geschlossen. Meine tägliche Routine gab es nicht mehr. Wer konnte, rettete sich in die Hamptons oder nach Florida. Mein Mann und ich verharrten in unserer Wohnung in Chelsea und hofften, dass alles bald vorbei sein würde. Er konnte auch nicht wirklich weg, weil er ca. 18 Stunden täglich damit verbrachte Kreuzfahrtgesellschaften mit erstaunlicherweise durch herumdümpelnde Pötte gesicherter Finanzierung über Wasser zu halten. Davon profitierte gottseidank auch die AIDA-Flotte.

M&A-Transaktionen, die irgendwie von einer Finanzierung abhingen, kamen weitgehend zum Stillstand. Niemand wusste wie es mit der Wirtschaft weitergehen würde und welcher Wirtschaftssektor auf welche Art und Weise durch COVID und Lockdowns betroffen sein würde. Der S&P 500 fiel von Tag zu Tag und diese Unsicherheit ist schlecht für M&A. Nach ein paar Wochen fand ich mich auf zwei Bankruptcy-M&A-Transaktionen wieder.

Kanzleien waren mithin direkt wirtschaftlich beeinträchtigt. Die Internetseite Above the Law veröffentlicht immer noch den „COVID Crisis Law Firm Layoff Tracker“, der anzeigt, welche Kanzlei welche Maßnahmen getroffen hat. Partnerentnahmen gesperrt? Gehälter um ein Viertel reduziert? Unbezahlter Urlaub? Entlassungen? Meine Kanzlei stand lange Zeit nicht auf der Liste, musste dann aber doch zahlreiche Kollegen und Assistenten mit Abfindung gehen lassen. Das wäre unter normalen Bedingungen schon stressig genug. Zu einer Zeit ohne soziale Kontakte und unter den Bedingungen einer Pandemie daheim ausharrend, war es noch etwas stressiger.

Persönliche Auswirkungen

Einige Associates hat es gegen das ganze System aufgebracht. So wie meinen in den unbezahlten Urlaub geschickten Altersgenossen Colinford Mattis, Associate bei der Kanzlei Pryor Cashman. Er wurde auf Above the Law dadurch berühmt, dass er während der Black Lives Matter-Proteste ein Polizeifahrzeug mit einem Molotov-Cocktail in Brand setzte. Der war allerdings fälschlicherweise mit Papier gebastelt statt Stoff, so dass ihm dieses mangelnde Auge fürs Detail auch hier außer einer Anklage wegen versuchten Mordes nichts einbrachte.

Ich persönlich habe einen Tinnitus entwickelt. Mir wurde vom HNO-Arzt bescheinigt, dass sich so ein Ohrgeräusch entwickele wenn man unter Stress stehe. Es handele sich um einen durch das Gehirn produzierten Piepton der dauerhaft sei und ich müsse lernen, damit zu leben. Damit klarzukommen war eine Herausforderung, aber ich bin sie sofort angegangen. Als erstes habe ich mir auf Empfehlung Sissi Perlingers Buch „Auszeit! Der Perlinger-Weg ins Glück“ gekauft. Sissi Perlinger ist ihren Tinnitus durch bewussteres Leben nach drei Jahren losgeworden. Eine Auszeit verträgt sich mit einer abzuzahlenden Hypothek leider gar nicht, aber auf Sissis Empfehlung hin fing ich an mit progressiver Muskelentspannung, Meditation und – auch ein lang gehegter Wunsch meines Mannes und in New York mittlerweile zum guten Ton gehörend – Psychotherapie. Nunmehr hat mein Zahnartzt herausgefunden, dass die Ursache des Ohrgeräuschs der durch stressbedingtes, nächtliches Zähneknirschen erzeugte Druck meines Kiefergelenks auf den Hörnerv ist.

Das ist mit der graduellen Öffnung New Yorks und der Rückkehr des sozialen Lebens besser geworden und der Tinnitus nahezu weg. Sissi Perlingers Empfehlungen für ein gesünderes Leben folge ich aber weiterhin – so hatte COVID wenigstens auch etwas Gutes.

 

Der Autor:

Dr. Alexander Rahn ist Volljurist und als Attorney at Law in New York zugelassen. Er ist Associate in der Praxisgruppe Corporate der U.S.-Kanzlei Hughes Hubbard & Reed in New York.

 

Responsible Editor: Dr. Jennifer Bryant