By Maximilian Roth

Nach unfreiwilliger, pandemiebedingter Pause bot sich am 14. Oktober 2021 den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der DAJV-Exkursion erneut die Möglichkeit, einen Blick hinter die wohlbewachten Mauern und Zäune der in Deutschland stationierten US-Streitkräfte in Ramstein zu werfen. Im Anschluss an anderthalb Jahre Social Distancing und virtuelle Get-togethers war den Mitgliedern der Gruppe eine freudige Grundnervosität angesichts der wieder bestehenden Möglichkeiten an direkten Einblicken an diesem Tag sichtlich anzumerken.

Obwohl naturgemäß rein aus Juristinnen und Juristen zusammengesetzt, bot auch die Gruppe selbst, die sich frühmorgens in Kaiserslautern versammelte, einiges an Gelegenheit für einen Blick über den eigenen beruflichen Tellerrand hinaus. Neben den „üblichen Verdächtigen“ aus den Reihen der Anwaltschaft (zu denen auch der Verfasser zählt) ergab sich an diesem Tag die Gelegenheit zu Gesprächen mit Juristinnen und Juristen, deren beruflicher Hintergrund unseren US-amerikanischen Gastgebern näherstehen dürfte. So fanden sich neben Vertretern der Bundeswehr und der deutschen Truppendienstgerichte (einer nach eigenem Bekunden auch in der Justiz wenig bekannten Zweig der Verwaltungsgerichtsbarkeit) auch junge Studierende mit bereits sehr klaren militärischen Karriere-Ambitionen unter den Teilnehmern.

Nach einer ersten Begrüßung durch die Organisatorin der Exkursion, die Leiterin der DAJV Young Professionals Isabel Cagala, war in Anbetracht des straffen Tagesprogramms keine Zeit zu verlieren. Erster Stopp am frühen Morgen: Die Sembach-Kaserne in Kaiserslautern.

Gruppenbild mit Panzer auf der Sembach-Kaserne.

The American way of law – Rechtsabteilung der US Army

Während der ca. 30-minütigen Busfahrt vom Bahnhof in Kaiserslautern zur Sembach-Kaserne ließ einen der Eindruck nicht los, dass bereits kurz nach der Stadtgrenze Kaiserslauterns amerikanisches Gebiet beginne. Die gewundene Straße wird gesäumt von unzähligen aktiven und inaktiven Stützpunkten der amerikanischen Streitkräfte, die Straßenschilder sind wohl auch aufmerksamsten Fahrschülern unbekannt und in englischer Sprache.

Nachdem die Bedenken der Wächter am Check-Point vor der Kaserne, welche die Teilnehmerliste minutiös prüfen, überwunden waren, begaben wir uns auf das Kasernengelände. Dort wurden wir von Herrn Jörg C. Moddelmog, Senior German Attorney-Advisor im 21st Theater Sustainment Command (als deutscher Staatsbürger im Dienst der US-NATO-Streitkräfte) in Empfang genommen und kurz auf die Verhaltenspflichten auf dem Gelände (insbesondere das Verbot unautorisierten Fotografierens) hingewiesen.

Unser Gastgeber an diesem Tag war das – mit militärischer Vorliebe für Akronyme als JAG abgekürzte – Judge Advocate General’s Corps (die „Rechtsabteilung“ der US-Streitkräfte). Neben Herrn Moddelmog, welcher uns direkt in den Vortragsraum für den Vormittag führte, wurden wir dort von den weiteren drei Dozenten der „JAGs“ in Empfang genommen:

Die Referenten der US Army (von links): Joerg C. Moddelmog, LL.M., Senior German Attorney-Advisor, 21st TSC, Colonel (Retired) R. Peter Masterton, Chief, International Law, 21st TSC, (Abteilungsleiter Völkerrecht, Militärrichter i.R.), Lieutenant Colonel W. Jeremy Stephens, Deputy Staff Judge Advocate, 21st TSC (Stellvertretender Leiter der Rechtsabteilung), Captain Erin T. Smith, Trial Counsel, Militärstaatsanwältin

NATO-Truppenstatut

In rhetorisch beeindruckender Manier führte uns Lieutenant Colonel W. Jeremy Stephens zunächst in die Grundstruktur der weltweit entsandten US-Truppen ein. Sodann erläuterte er den Platz des in Kaiserlautern stationierten, bereits erwähnten 21st Theater Sustainment Command (TSC) in dieser Struktur. Im Anschluss wurden noch die rechtlichen Grundlagen der Stationierung von NATO-Truppen auf deutschem Staatsgebiet (insb. Aufenthaltsvertrag, NATO-Truppenstatut sowie das zugehörige Zusatzabkommen und Unterzeichnungsprotokoll) erläutert.

Militärstrafverfahren

Nach einer kurzen Pause übernahm Captain Erin T. Smith, die selbst als Prosecutor Militärstrafverfahren einleitet, die Erläuterung der Grundzüge der US-amerikanischen Militärjustiz („Court Martial“). Anders als in Deutschland (vgl. Art. 96 Abs. 2 GG, von dem der Bundesgesetzgeber bisher keinen Gebrauch gemacht hat) verfügen die US-Streitkräfte über ein eigenständiges Strafjustizsystem für Militärangehörige. Auch wenn sich die Strafverfahren weitgehend in der Hand der Truppenkommandeure befinden, sieht doch der Uniform Code of Military Justice (UCMJ) als einschlägige Rechtsgrundlage eine Reihe an Rechten der angeklagten Militärangehörigen vor. So bestehen neben dem Recht auf einen Rechtsbeistand aus dem Kreise der „JAGs“ strenge Beweisregeln und zur Prüfung einer Entscheidung nachgeordnete Instanzen. Die Vollstreckung von Urteilen wird – mit Ausnahme kurzer Haft direkt auf dem Kasernengelände – in den USA vollzogen, wohin verurteilte Militärangehörige ausgeflogen werden.

Claims against the US in Germany

Im Anschluss führte uns Colonel (Retired) R. Peter Masterton in das Thema „Claims against the US in Germany” ein. Nach Besprechung von Ansprüchen deutscher Staatsangehöriger gegen die US-Streitkräfte für Verhalten von Militärangehörigen und den einschlägigen Rechtsgrundlagen ging Colonel Masterton insbesondere auf Ansprüche zwischen NATO-Mitgliedsstaaten ein. Nach dem NATO Status of Forces Agreement (NATO SOFA) bestehen signifikante Beschränkungen dieser Ansprüche. Hinsichtlich der Höhe der Ansprüche werden niedrige Summen unter USD 1.400 generell nicht als Schaden anerkannt, während auch bei höheren Summen eine teilweise Kostentragungspflicht des geschädigten Staates (i.d.R. zu 25%) besteht. Besonders hervorzuheben war an dieser Stelle der komplette Ausschluss von Ansprüchen für die Beschädigung militärischen Geräts, was nach Aussage von Colonel Masterton gelegentlich zu Verstimmungen bei Bündnispartnern führe. Teilweise greifen die US-Streitkräfte in Staaten, in denen dies die lokalen Sitten vorschreiben, auch auf freiwillige, direkte Zahlungen in überschaubarer Höhe an Geschädigte zurück (allerdings nicht in Europa).

Feinheiten des Zivilprozessrechts

Zum Abschluss gab uns Joerg Moddelmog noch einen Einblick in die zivilprozessualen Besonderheiten bei Involvierung von Personen, die dem NATO SOFA und dem deutschen Zusatzabkommen (ZA) unterfallen. Bereits die Möglichkeiten der Zustellung nach Art. 32 ZA halten einige Haftungsfallen bereit. Aber auch nach Erstreiten eines Titels verbleiben gewisse Fallstricke, welche den Besonderheiten dieser Konstellation geschuldet sind. So seien die US-Streitkräfte zwar grundsätzlich bereit, auch etwa bei Soldpfändungen von Angehörigen der Truppe mitzuwirken. Jedoch sei die Formulierung hier entscheidend, da der Befehlston eines gängigen deutschen Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses bei den USA eher auf taube Ohren stoße. Mit der Abschwächung dahingehend, dass die USA „ersucht“ würden, sei jedoch eine reibungslose Kooperation gewährleistet.

Völkerrecht in der Praxis – Besuch der US Air Base Ramstein

Nun mit dem theoretischen rechtlichen Rüstzeug gewappnet, begab sich die DAJV-Truppe zurück zum Bus und auf in Richtung der für diese Exkursion namensgebenden US-Airbase Ramstein, um die praktische Umsetzung der soeben erlernten völkerrechtlichen Grundlagen in Augenschein zu nehmen.

Nach einer bewaffneten Patrouille im DAJV-Bus zur Überprüfung der Teilnehmer öffneten sich die Tore zu diesem doch ganz eigenen Universum.

Hatte sich auf dem morgigen Weg zur Sembach-Kaserne bereits der Eindruck einer Fahrt durch US-Territorium eingestellt, so war die Illusion auf dem Gelände der Ramstein Airbase (sicherlich auch mit Blick auf das allgemeine Wohlbefinden der dort stationierten US-Truppen) nahezu perfekt.

US-Suburbia in der Pfalz

Unsere Tour des Geländes führte vorbei an Wohnsiedlungen für Militärangehörige (Wohnungen und teils kleinere Häuser für Verheiratete und/oder die höheren Ränge, „Barracks“ für unverheiratete Angehörige der niedrigeren Ränge), welche mit spielenden Kindern auf den Straßen, Familien in Parks und original US-Feuerwehrfahrzeugen ein Gefühl von „Suburbia“ mitten in einem Militärstützpunkt aufkommen lassen. Anlässlich des kurz bevorstehenden Halloween fuhren die Militärangehörigen mit großem Geschütz (bestehend aus Baumaschinen, US-Feuerwehrfahrzeugen und Transportern) durch die Straßen und ließen allerlei Süßigkeiten und manche Spielsachen auf die bunt kostümierten Kinder hinabregnen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt wähnte man sich inmitten einer amerikanischen Kleinstadt. Ein 18-Loch-Golfplatz, Schulen und eine Mall im amerikanischen Stil (in der selbstverständlich nur US-Dollar akzeptiert werden) tun ihr Übriges, um einem Gefühl von Heimweh der US-Truppen entgegenzutreten.

Ein kurzer Blick über das Gelände, auf dem man neben fast ausschließlich uniformierten Personen nun auch die eigentliche Air Base des Stützpunkts sieht, holte einen jedoch schnell aus dieser Illusion heraus.

An Bord der C-17

Unser Bus hielt am Rollfeld an, wo wir von drei Angehörigen der US-Streitkräfte in Empfang genommen und zu einem Transportflugzeug des Modells C-17 geführt wurden. Wir betraten dieses auf dem Weg, auf dem ansonsten neben den mitfliegenden US-Truppen auch Panzer, Helikopter und anderes schweres militärisches Gerät ins Innere des Flugzeugs gelangen – die Laderampe.

Im Bauch der C-17. Maschinen dieses Typs kamen wenige Wochen zuvor bei der Evakuierung afghanischer Flüchtlinge zum Einsatz.
Welches ist der richtige Schalter? Teilnehmer versuchen sich als Air Force Piloten im Cockpit.

Die Bilder aus dem Innern des C-17 Transportflugzeugs dürften inzwischen aufgrund der Evakuierung von über 600 Personen aus Afghanistan, welche mit diesem Flugzeugtyp auf einen Schlag ausgeflogen wurden, zu tragischer allgemeiner Bekanntheit gekommen sein. Auf diesen Einsatz angesprochen versicherten uns die US-Soldaten, dass das Flugzeug mit bis zu 77 Tonnen (oder zwei Panzern) beladen werden könne. Eine Überladung (zumindest betreffend das Gewicht) sei in diesem Fall nicht zu befürchten gewesen.

Die Sitzgelegenheiten im Transportflugzeug für die Truppen setzen die gern bemängelte Ryanair-Bestuhlung in Perspektive – ein Eindruck, den uns die anwesenden Soldaten aus eigener Erfahrung bestätigen konnten.

Abwehrmanöver bei feindlichen Angriffen

Als Transportmaschine verfügt die C-17 über keine eigenen Waffensysteme und wird nach Aussage der US-Truppen auch über Einsatzgebieten grundsätzlich nicht von Kampfflugzeugen eskortiert. Im Falle eines Angriffs obliegt es somit rein der Fähigkeit des Piloten, durch den Abwurf von „Flares“ (eine Vielzahl erhitzter Körper zur Ablenkung wärmesuchender Geschosse) und taktischen Flugmanövern zu entkommen.

Neben weiteren technischen Details betonten die anwesenden Soldaten auch die strategischen Einsatzmöglichkeiten des Flugzeugs aufgrund der Möglichkeit der Luftbetankung. Hiermit sei eine theoretisch unbegrenzte Flugdauer möglich, wobei die Materialbelastung des Flugzeugs doch faktische Grenzen ziehe.

Mit vielen Eindrücken und Fotos aus dem Cockpit des Flugzeugs begaben wir uns schließlich in den technisch vielleicht etwas profaneren Bus zurück. Etwas erschöpft von dem langen Tag, aber bereichert durch viele spannende Einblicke endete unsere unvergessliche Ramstein-Exkursion am frühen Abend in Kaiserslautern mit dem festen Entschluss, dass wir im kommenden Jahr für eine weitere Tour zurückkommen möchten.

Die Reisegruppe wird beim Verlassen des Flugzeugs von strahlendem Sonnnenschein überrascht.
Großer Applaus für die Einsatzkräfte der US Air Force, die uns geduldig die zahlreichen Funktionen der C-17 erklärten.

 

Wir bedanken uns ganz herzlich bei den US-Streitkräften und freuen uns, im kommenden Jahr wieder zu Gast sein zu dürfen!

 

 

Der Autor:

Maximilian Roth ist Rechtsanwalt bei White & Case LLP in Frankfurt a. M. und Mitglied der Praxisgruppe International Arbitration.

 

Responsible Editor:

Isabel Cagala, TLB Co-Editor-in-Chief