By Prof. Dr. Dr. h.c. Thomas Pfeiffer

 

In dieser Reihe von Posts berichte ich künftig regelmäßig zur Rechtsprechung deutscher Zivilgerichte mit USA-Bezug. Welche zeitlichen Intervalle (vierteljährlich/halbjährlich/jährlich?) dabei richtig sind, wird die Erfahrung zeigen müssen. Die Beitragsreihe ist (auch) insofern nicht frei von einem experimentellen Charakter. Den Anfang macht dieser Beitrag zum Jahr 2021. Einen Anspruch auf Vollständigkeit erhebe ich nicht; es werden ausgewählte Entscheidungen erwähnt. Doch bin ich für etwaige Hinweise auf Entscheidungen im Hinblick auf zukünftige Beiträge natürlich dankbar.

Es liegt auf der Hand, dass der Blick auf den Umgang deutscher Zivilgerichte mit den USA und dem U.S.-amerikanischen Recht nicht das Ziel haben, umfassend oder aktuell über Rechtsentwicklungen in den USA zu informieren. Wer das sucht, sollte andere Quellen zu Rate ziehen. Es geht vielmehr darum, einem am deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr interessierten Leserkreis einen Eindruck zu verschaffen, welche Fragen die deutsche Rechtssprechungspraxis mit Bezug zu den USA beschäftigen. Natürlich ist der daraus resultierende Erkenntniswert begrenzt. Erstens erfasst die Beschränkung auf Gerichtsentscheidungen nicht die Entscheidungstätigkeit von Schiedsgerichten, die zumindest in Teilen des Handelsverkehrs von erheblichem Gewicht ist; zweitens vollzieht sich die Rechtspraxis erfreulicherweise zum großen Teil außerhalb von Gerichtssälen. Zudem kann auch nicht der Anspruch erhoben werden, einen bestimmten Rechtsbereich umfassend zu durchdringen oder die hier sehr kurz – mitunter nur mit einem Satz – berichteten Entscheidungen umfassend zu rezensieren. All dies ist klar.

Ein Blick auf die USA und das U.S.-Recht in der deutschen Zivilgerichtsbarkeit ist eben, was es ist, nicht mehr, aber auch nicht weniger: Ein buntes Bild von Entscheidungen auf unterschiedlichen Gebieten, ein Ausschnitt und – möglicherweise – ein daraus resultierender Eindruck. Was daraus für wen folgt, bleibt also der Leserschaft überlassen.

Das vorausgeschickt, berichte ich aus dem Jahr 2021:

Aufenthalte und Reisen in die USA

Als gutes Zeichen für alle Freunde Amerikas kann man eine Entscheidung deuten, die eine gemeinsame Sorgerechtsausübung getrennt lebender Eltern betrifft. Das OLG Dresden, 28.06.2021, 21 UF 350/21, formuliert dazu den Leitsatz:

„Eine zweiwöchige USA-Reise des Vaters mit dem sechsjährigen Sohn zum Besuch der dort lebenden hochbetagten Großeltern väterlicherseits stellt jedenfalls nach dem Wegfall der Einstufung als Risikogebiet durch das Robert-Koch-Institut und dem der Aufhebung der Reisewarnung durch das Auswärtige Amt keine Angelegenheit von erheblicher Bedeutung dar.“

Das AG Bonn, 07.12.2021, 101 C 231/20, hat hingegen einen im Mai 2020 erklärten Rücktritt von einem Vertrag über einen Gastschulaufenthalt in den USA ab August 2020 als wirksam angesehen, weil aus der Mai-2020 Perspektive für den (ein Schuljahr umfassenden) Aufenthaltszeitraum erhebliche Corona-Risiken zu erwarten waren.

U.S.-Sanktionen gegen den Iran

In einer Entscheidung des OLG Frankfurt vom 21.10.2021, 6 U 65/20, ging es um die Auswirkungen U.S.-amerikanischer Sanktions-Regelungen auf eine Vorauszahlung, die ein Unternehmen aus dem Iran erhalten hatte. Die Empfängerin war von dem Vertrag zurückgetreten, weigerte sich allerdings, die Vorauszahlungen zurückzuzahlen. Das Gericht meinte dazu u.a.: „Hat sich ein Kaufvertrag in ein Rückgewährschuldverhältnis umgewandelt, steht dem Verkäufer gegenüber einer auf der SDN-Liste durch US-amerikanische Behörden gelisteten Vertragspartei kein Recht zu, eine Vertragsanpassung dahingehend zu verlangen, dass er berechtigt ist, die fällige Rückzahlung bereits erhaltener Vorauszahlungen so lange zu verweigern, bis der Vertragspartner von der SDN-Liste gestrichen ist.“ Und weiter: „Die im Rahmen des § 313 BGB vorzunehmende Interessenabwägung führt nicht zu einer Unzumutbarkeit eines Festhaltens am unveränderten Vertrag für den Verkäufer, weil das Risiko einer SDN-Listung des Vertragspartners in seinen Risikobereich fällt. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass der Iran Freedom and Counter-Proliferation Act of 2012 (IFCA) zwar den Handel mit SDN-gelisteten Unternehmen verbietet, demgegenüber aber Art. 5 der EU-Blocking-VO eine umfassende Nichtberücksichtigung dieser inkriminierten U.S.-Sanktion gebietet. Dies hat zur Folge, dass sich der Schuldner nicht auf die IFCA als Leistungshindernis berufen kann, weil er damit – entgegen der EU-Blocking-VO – dem Verbot eines Handels mit SDN-gelisteten Unternehmen nachkäme.“

Verfahrensrecht

Prozessual instruktiv erscheint zunächst OLG Hamburg, 10.06.2021, 5 U 83/18, wo die Prozessvollmacht der Anwälte der U.S.-Partei (einer Gesellschaft nach dem Decht von Delaware) gerügt worden war, die eine „Assistant Corporate Secretary“ der US-Partei schriftlich erteilt hatte. Für die wiederum fragliche Vertretungsmacht der Betreffenden stellt das Gericht darauf ab, dass jene durch schriftliche Urkunde vom Board der Gesellschaft ohne Beschränkungen ihrer Befugnisse zum Officer bestellt wurde.

Das OLG München, 24.06.2021, 29 U 3503/20, wendet die Befreiung von der Prozesskostensicherheit (§ 110 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 ZPO in Verbindung mit Art. VI Abs. 1 des Deutsch-Amerikanischen Freundschaftsvertrages vom 29. Oktober 1954 und Nr. 6 lit. a des dazugehörigen Protokolls) auf eine nach dem Recht eines U.S.-Bundesstaates gegründete Corporation bereits dann an, wenn sie über eine Zweigniederlassung auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland verfügt, mag diese auch außerhalb des Bezirks des erkennenden Gerichts liegen.

Ein anderer Senat des OLG München hatte am selben Tag (24.06.2021, 34 Sch 62/19) über die Anwendung des § 110 Abs. 1 ZPO auf eine US-Partei, bei der die vorgenannten Voraussetzungen aber nicht gegeben waren, zu entscheiden und bejaht diese auch für Verfahren über die Aufhebung von Schiedssprüchen.

Einen deutschen Deliktsgerichtsstand für Klagen gegen eine weltweit tätige im Zusammenhang mit Cum-ex-Geschäften des „S.-Fonds“ unter Beteiligung von US-Pensionsfonds bejaht OLG München, 06.07.2021, 5 U 710/20.

In BGH, 09.06.2021, XII ZB 416/19, ging es um die Vollstreckbarerklärung eines Unterhaltstitels aus Florida im Rahmen des Haager Unterhaltsübereinkommens von 2007, insbesondere um die Frge der ordnungsgemäßen Klagezustellung in Florida. Der BGH stellt im Rahmen von Art. 22 lit. e Nr. i HUÜ 2007 nicht auf die formelle Ordnungsmäßigkeit, sondern auf die Wahrung einer effektiven Verteidigungsmöglichkeit ab, die nach den Umständen des Falles bejaht wird.

Verbands- und Gesellschaftsrecht

BGH, 15.04.2021, III ZR 139/20, lehnt eine Beschränkung der Vertretungsmacht des Stiftungsvorstands durch den Stiftungszweck – und in diesem Zusammenhang an die Ultra-vires-Lehre des US-amerikanischen Gesellschaftsrechts ab.

Familienrecht

In einem Streit über die Herausgabe eines Kindes nach dem Haager Kindesentführungsübereinkommen befasst sich das OLG Nürnberg, 27.10.2021, 7 UF 829/21, mit dem Sorgerecht von Kentucky. Es führt zunächst aus, dass sich die Vaterschaft des Antragstellers aus seinem Anerkenntnis ergebe und meint weiter: „Gem. § 405.020 (1) der Kentucky Revised Statutes tragen Vater und Mutter eines Kindes die gemeinschaftliche elterliche Sorge. § 405.020 (1) der Kentucky Revised Statutes lautet: ,The father and mother shall have the joint custody, [….] of their children who are under the age of 18. […]‘. In diesem Gesetzestext spiegelt sich die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs der USA im Hinblick auf die gemeinschaftliche elterliche Sorge unverheirateter Eltern sowie die Rechte des biologischen Vaters wider. Danach ist die gemeinsame elterliche Sorge das zwingende Grundmodell, von dem erst durch eine spätere Sorgerechtsvereinbarung oder durch richterlichen Gestaltungsakt abgewichen werden kann. Daher ist in diesem Zusammenhang die in § 405.020 der Kentucky Revised Statutes verwendete Formulierung ,shall have‘ als Anordnung einer zwingenden Rechtsfolge zu verstehen. Da jede andere Auslegung der Formulierung der gefestigten Rechtsprechung des obersten Gerichtshofs der USA entgegen stehen würde, vermögen auch der Hinweis des Antragsgegnervertreters auf einen vermeintlich entgegenstehenden Hinweis auf der Rückseite des Formblattes des ,Acknowledgement of Paternity‘ als auch auf den – hier nicht anwendbaren – ,Plain Writing Act‘, kein anderes Ergebnis zu begründen. Dass der Antragsteller nach der Ausreise der Antragsgegnerin mit dem Kind einen Antrag u.a. auf Feststellung der gemeinschaftlichen elterlichen Sorge bei dem Franklin Circuit Court gestellt hat, ist mit dem deutschen Rechtsverständnis der elterlichen Sorge zwar zunächst schwer zu verstehen, erklärt sich aber mit der klaren Aussage des Sachverständigen, dass es hier nicht darum gehe, die gemeinsame elterliche Sorge festzustellen, sondern darum Ausübungsregelungen bezüglich der gemeinsamen elterlichen Sorge zu treffen.

Datenschutz

Eine umfangreiche, detaillierte Vorlage an den EuGH zu Datenschutzfragen bei Facebook findet sich in OLG Düsseldorf, 24.03.2021, Kart 2/19 (V).

Patentrecht

Auf der Grundlage U.S.-amerikanischen Patentrechts geht LG München I, 26.07.2021, 21 O 9793/21, von der Wirksamkeit einer arbeitsvertraglichen Erfinderklausel “Each and every invention I make during the period of time I am actually employed by N shall become the property of N without additional compensation or consideration to me” aus.

Im Übrigen ist zu nennen: BGH, 19.10.2021, X ZR 106/19, betrifft einen transatlantischen Patentstreit aus dem Bereich der Kommunikationstechnologie; LG München I, 21.09.2021, 33 O 14670/19, einen Markenstreit mit gewissen transatlantischen Bezügen.

De Reihe wird fortgesetzt.

 

Der Autor:

Prof. Dr. Dr. h.c. Thomas Pfeiffer ist seit 2002 ordentlicher Professor an der Universität Heidelberg, Direktor des Instituts für ausländisches und internationales Privat- und Wirtschaftsrecht; Beauftragter für das am Heidelberg Center for Latin America gemeinsam mit der Universität Santiago angebotene LL.M.-Programm International Law, Investment and Arbitration; 2004-2006 Dekan der Juristischen Fakultät, 2007-2013 Prorektor (2010-2013 Erster Prorektor) der Universität Heidelberg; seit 2014 Mitglied des Universitätsrats (stellvertretender Vorsitzender seit 2021) sowie von dessen Finanzprüfungsausschuss; Vorsitzender der Grundordnungskommission der Universität.

Professor Pfeiffer fungierte von 2011-2015 als Regionalvorstand der DAJV in Heidelberg und engagiert sich seit 2015 im Gesamtvorstand als 2. stellvertretender Vorsitzender.

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