By Manuel Schoenhuber

Die Präsidentschaftswahl in den USA kann zu Recht in vielen Belangen als historisch bezeichnet werden. Mit Blick auf den bevorstehenden Tag der Amtseinführung von Präsident Biden am 20. Januar gilt es nun jedoch den Fokus auf die Zukunft zu richten. Das Ziel einer jeden neuen Regierung ist klar definiert: die bestmögliche Umsetzung aller Wahlversprechen gegenüber dem Volk. So wird auch die Regierung unter Präsident Biden versuchen ihre umfassenden Zusagen an die Wählerschaft in möglichst vollem Umfang umzusetzen.

Mehrheitsverhältnisse

Der Ausgang der Stichwahlen für den U.S. Senat im Bundesstaat Georgia vom 5. Januar sollte Präsident Biden die Amtsführung und Gesetzgebung erleichtern, da die Demokraten den Senat zwar nicht numerisch aber dennoch faktisch zurückerobern konnten. Ein zu 50/50 geteilter Senat mit Vizepräsidentin Kamala Harris als ausschlaggebende Stimme sichert den Demokraten effektiv die Mehrheit. Somit haben die Demokraten zum ersten mal seit 2009 die Kontrolle über die Präsidentschaft, den Senat und das Repräsentantenhaus.[1] Diese Tatsache sollte die Verabschiedung vieler Gesetzesvorschläge, die die Demokraten während des Wahlkampfs proklamiert haben, vereinfachen. Da jeder Gesetzesvorschlag aber eine einstimmige Unterstützung aller Demokraten im Senat, auch von gemäßigten Senatoren, erfordert, ist es unwahrscheinlich, dass die Mitglieder des progressiven Flügels der Demokraten alle von ihnen angestrebten umfassenden Änderungen erreichen werden. Gleichwohl lohnt sich ein Ausblick auf vorgeschlagene Änderungen in der U.S. Gesetzgebung und deren Umsetzbarkeit.

Präsident Trumps Gesetzgebung per Executive Orders

Es besteht kein Zweifel, dass die Trump-Regierung während der vergangenen vier Jahre ein konsequentes Ziel verfolgte: das Regulierungsregime der Obama-Ära rückgängig zu machen.[2] Dieses Ziel verfolgte Präsident Trump nicht selten per präsidialem Dekret, also per Executive Order.[3] Executive Orders einer vorherigen Administration gehören allerdings zu den Formen der Gesetzgebung, die eine neue Regierung am einfachsten kippen kann, da abermals nur ein Dekret des neuen Präsidenten erforderlich ist.[4] Präsident Biden wird daher vermutlich frühzeitig schnelle Maßnahmen ergreifen, um viele der Executive Orders von Präsident Trump rückgängig zu machen oder zu ersetzen. Außerdem wird die Biden-Regierung Regulierungsbemühungen aus Bidens achtjähriger Amtszeit als Vizepräsident wiederaufnehmen und in den meisten Fällen sogar darauf aufbauen.

Handelsrecht

Es ist ein offenes Geheimnis, dass Europa und die USA während der Präsidentschaft von Donald Trump in Handelsfragen nur selten auf einer Wellenlänge lagen. Nach Präsident Trumps „America First“ Herangehensweise wird die Biden-Regierung voraussichtlich die U.S. Handelspolitik auf Multilateralismus und den Wiederaufbau der Beziehungen zu wichtigen Verbündeten konzentrieren. Es ist aber nicht zu erwarten, dass Präsident Biden kurzfristig Zölle der Trump-Regierung auf Importwaren aus China und der EU aufheben wird. Die Biden-Regierung sollte jedoch zumindest Orientierungshilfen bereitstellen, wann Produkte von solchen Zöllen auszuschließen sind.[5] Zusätzlich wird die Biden-Regierung mit Verbündeten, einschließlich der EU, zusammenarbeiten, wenn die Interessen in Bezug auf China im Einklang stehen; beispielsweise bei der Beseitigung überschüssiger globaler Stahlkapazitäten und der Reform der World Trade Organization.[6]

Obwohl allgemein zu erwarten ist, dass Amerikas Verhalten auf dem Weltmarkt unter Präsident Biden wieder zur Vor-Trump-Norm zurückkehren wird, bedeutet dies freilich nicht, dass sich handelsrechtliche Probleme zwischen Europa und den USA in Luft auflösen werden. Präsident Biden wird weiterhin im Interesse der USA agieren und der Unterschied zu Präsident Trump wird sicherlich mehr im Stil als in der Substanz liegen.

Arbeitsrecht

Präsident Biden tritt sein Amt mit einer ehrgeizigen Liste arbeitnehmerfreundlicher Gesetzesvorhaben an. Im Gegensatz zum wirtschaftsfreundlichen Ansatz der Trump-Regierung werden viele Bemühungen der Biden-Regierung darauf abzielen, die Rechte, Rechtsmittel und Verfahrensmöglichkeiten der Arbeitnehmer zu verbessern und zu erweitern. Im Rahmen seiner Wahlkampagne gab Biden einen umfassenden Arbeitsplan bekannt, der sich auf die Befähigung der Arbeitnehmer konzentriert: The Biden Plan for Strengthening Worker Organizing, Collective Bargaining, and Unions.[7]

Labor Plan

Der Labor Plan versucht viele Regeln der Obama-Ära wiederherzustellen und unterstützt besonders den Ausbau der Gewerkschafts- und Tarifverhandlungsrechte, um Arbeitnehmer und Gewerkschaften zu stärken. Hierzu soll es laut Labor Plan den Arbeitnehmern zunächst gesetzlich erleichtert werden Gewerkschaften zu gründen.

Wettbewerbsverbote

Des Weiteren soll die Bundesgesetzgebung unter dem Labor Plan möglichst alle Wettbewerbsverbote für Arbeitnehmer (Noncompetes) verbieten. Als einzige Ausnahme sollen nur die wenigen Wettbewerbsverbote, die zum Schutz einer eng definierten Kategorie von Geschäftsgeheimnissen unbedingt erforderlich sind erhalten bleiben. Es ist jedoch zu beachten, dass Wettbewerbsverbote und andere restriktive Vereinbarungen nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses traditionell ausschließlich vom bundesstaatlichen Recht, ohne landesweite Bundesgesetze, geregelt werden. Daher erscheint ein umfassendes, vollständig föderalisiertes nationales Gesetz zum Wettbewerbsverbot am Arbeitsplatz als eher unwahrscheinlich. Das wahrscheinlichste Szenario könnte der Erlass eines Bundesgesetzes sein das zumindest  Wettbewerbsverbote für Niedriglohnarbeiter untersagt.

Schiedsgerichtsvereinbarungen und Sammelklagen

In den letzten Jahren haben viele U.S. Arbeitgeber darüber hinaus verpflichtende Schiedsgerichtsbarkeitsprogramme eingeführt, um Streitigkeiten mit potenziellen Mitarbeitern und vorhandenen Arbeitskräften außergerichtlich und nicht im Auge der Öffentlichkeit austragen zu können. Unter dem Labor Plan sollen diese verbindlichen Schiedsvereinbarungen für ungültig erklärt werden. Dies bezieht sich auch auf den vertraglichen Verzicht auf Sammelklagen. Es ist also zu erwarten, dass Rechtsstreitigkeiten am Arbeitsplatz an die Gerichte zurückgeleitet und Sammelklagen wieder im Namen einer Gruppe von Arbeitnehmern eingereicht werden können.

Urlaubsregelungen

Der  Labor Plan beinhaltet auch Bundesgesetzgebung, die eine Form des bezahlten Familienurlaubs vorsieht. Aufgrund der bisherigen Untätigkeit des Bundes zu diesem Thema haben viele Bundesstaaten und Gemeinden ihre eigenen Gesetze für einen geregelten Anspruch auf bezahlten Urlaub verabschiedet. Dies resultierte logischerweise in einem unübersichtlichen Flickenteppich von regionalen Gesetzen, den die Biden-Regierung nun zumindest in Teilen vereinheitlichen will.

Mindestlohn

Ein wichtiges Anliegen der neuen Regierung unter dem Labor Plan ist es, Bundesgesetze für faire Löhne zu stärken und den gesetzlichen Mindestlohn zu erhöhen. Die Biden-Regierung wird daher höchstwahrscheinlich die Meldepflicht der Equal Employment Opportunity Commission wiederaufnehmen. Dahinter steht eine Obama-Initiative zur Meldung von Gehaltsdaten zu Geschlecht, Rasse und anderen Faktoren, die Präsident Trump kippte. Allgemein sieht der Labor Plan vor, zahlreiche Schritte zu unternehmen, um die Löhne für amerikanische Arbeitnehmer zu erhöhen.

Arbeitsbedingungen

Zu den arbeitsrechtlichen Prioritäten von Präsident Biden zählen auch Änderungen der Überstundenregelungen, strengere Standards für die Klassifizierung unabhängiger Auftragnehmer (Independent Contractors) und eine Ausweitung der Arbeitgeberhaftung für unsichere Arbeitsbedingungen.

Die Umsetzung der Vorschläge im Labor Plan macht es also notwendig sich in einer neuen Dynamik zurechtzufinden, die einer Abkehr von Präsident Trumps arbeitgeberfreundlicheren Beschäftigungspolitik gleicht.

Einwanderung

Es sollte nicht überraschen, dass Bidens Wahlsieg das wahrscheinliche Ende der restriktiven Einwanderungspolitik der Trump-Regierung markiert. Der 46. Präsident hat mehrfach versichert, nach seiner Vereidigung umgehend Maßnahmen zu ergreifen, um Präsident Trumps Bemühungen zur Einschränkung der Einwanderung in die USA umzukehren. So wird Präsident Biden einen Großteil des Einwanderungssystems wiederherstellen, das Präsident Trump einstellen ließ.

Einige der Exekutivmaßnahmen von Präsident Trump werden für die Biden-Regierung leichter aufzuheben sein, aber der Abbau erhöhter konsularischer Überprüfungsanforderungen und die allgemeine Bereitstellung neuer Leitlinien werden einige Zeit in Anspruch nehmen. Auch formale Vorschriften, wie etwa die Public Charge Rule, die es einkommensschwachen Einwanderern erschwert Green Cards zu erhalten, dürften nicht kurzfristig rückgängig zu machen sein.

Ausländische Investoren

Für den Kapitalmarkt in den USA waren ausländische Investoren, insbesondere aus Europa, schon immer eine wichtige Finanzquelle. Während der Amtszeit von Präsident Trump war der Geldfluss ausländischer Investoren jedoch rückläufig , da die Besorgnis über neue Beschränkungen des EB-5-Visa-Programms aufgrund entsprechender Äußerungen durch Präsident Trump beständig wuchs.[8] Unter Präsident Biden sollte das Interesse ausländischer Investoren in den U.S. Markt wieder zunehmen. Auch werden wohl besser vorhersehbare gesetzliche Rahmenbedingungen ausländische Direktinvestitionen in den US-Markt wieder attraktiver machen.

Umwelt und Energie

Präsident Biden hat während des Wahlkampfs auch seinen Plan for a Clean Energy Revolution and Environmental Justice[9] verkündet, um die Umstellung von fossilen Brennstoffen auf erneuerbare Energien zu beschleunigen und den U.S. Energiesektor bis 2035 zu dekarbonisieren.

Der Climate Plan fordert die Umsetzung von strengeren Maßnahmen gegen Umweltverschmutzer oder Manipulatoren des Energiemarktes zu verschärfen und die Priorisierung der Öl- und Gasförderung durch die Trump-Regierung umzukehren. Der Kampf gegen den Klimawandel soll unter Biden mit ehrgeizigen Mitteln verfolgt werden. Der Climate Plan sieht vor, strengere Emissionsvorschriften einfzuführen, die Erschließung von Ländern und Gewässern im föderalen oder kommunalen Besitz zu beschränken und Innovationen in erneuerbare Technologien zu fördern. Sowohl Onshore-Hydraulic Fracturing (Fracking) als auch Offshore-Bohrungen werden wahrscheinlich einem strengeren regulatorischen Umfeld ausgesetzt sein. Der Climate Plan beabsichtigt zudem, dass Vorschriften zur Methanfreisetzung und Anreize für die Kohlenstoffbindung wieder eingeführt werden. Zusätzliche Anreize sollen für Investitionen in Batteriespeicher für Strom aus erneuerbaren Energien wie Wind- und Solartechnologien gesetzt werden. Unter Präsident Biden wollen die USA auch dem Pariser Klimaschutzabkommen wieder beitreten. Der Climate Plan ist daher ein bewusster Gegensatz zu Präsident Trumps milder Umweltpolitik.

Infrastruktur

Zusätzlich zu Präsident Bidens Climate Plan gehören auch ambitionierte Elektromobilitätsziele für den Verkehr und die U.S. Infrastruktur im Rahmen seines Plan to Build a Modern, Sustainable Infrastructure and an Equitable Clean Energy Future.[10] Der Infrastructure Plan als Plan für eine „Green Energy Revolution“ setzt den Fokus auf modernisierte Autobahnen, Straßen und Brücken sowie Elektrofahrzeuge, Nahverkehr und Hochgeschwindigkeitszüge. Der Infrastructure Plan fordert zudem strengere Standards zur Erfüllung der Umweltschutzstandards. Die Richtlinien der Biden-Regierung werden also zweifellos von denen der Trump-Regierung abweichen, insbesondere in Bezug auf die Elektrifizierung des Transportsystems. Das unverkennbare Ziel der Biden-Regierung ist ein abgestimmtes landesweites Programm zur Förderung der Emissionsreduzierung und der Ausbau der Elektroenergie.

Die Zeichen der Zeit

Natürlich kann keine Regierung jemals alle Punkte auf ihrer Wunschliste erfüllen, und die Handlungsfähigkeit und Motivation des Präsidenten wird unweigerlich von externen Faktoren beeinflusst, die nur schwer zu kalkulieren sind. So besteht etwa kein Zweifel, dass die COVID-19 Pandemie die ersten Monate der Biden-Regierung beherrschen wird.  Die neue Regierung ist sich auch bewusst, dass die von Präsident Trump ernannten Richter mittlerweile ungefähr 25% aller aktiven Richter im Bundesgerichtssystem ausmachen und die Mehrheit am U.S. Verfassungsgericht konservativ gekippt ist.[11] Deswegen könnten progressive Gesetzesvorschläge trotz einer potenziellen Zustimmung im Senat und Repräsentantenhaus zunächst hinten angestellt werden, um vermeintlich aussichtslosen gerichtlichen Überprüfungen vorzubeugen. Dennoch liefern Präsident Bidens ambitionierte Ziele in der Bundesgesetzgebung einen guten Überblick über mögliche Änderungen während seiner Amtszeit als 46. Präsident der USA.

 

Der Autor:

Manuel Schoenhuber ist Associate im Bereich Konfliktlösung bei Andrews Myers, P.C., in Houston, Texas. Nach einer kurzen Karriere als deutscher Profifußballer zog es ihn in die USA. Sein Jurastudium schloss er an der University of Houston mit dem Juris Doctor (J.D.) ab. 

 

 

 

Responsible Editor: Isabel Cagala, TLB Co-Editor-in-Chief

 

[1] Jarred Schenke, Democrats Win Control of the Senate, Paving Way for Biden Agenda, BisNow (Jan. 6, 2021).

[2] Tracking Deregulation in the Trump Era, Brookings, https://www.brookings.edu/interactives/tracking-deregulation-in-the-trump-era/; How Trump Is Rolling Back Oabama’s Legacy, The Washington Post, https://www.washingtonpost.com/graphics/politics/trump-rolling-back-obama-rules/.

[3] Donald Trump Issued 209 Executive Orders Between 2017 and 2021, Federal Register, https://www.federalregister.gov/presidential-documents/executive-orders.

[4] What is an Executive Order?, American Bar Association (Oct. 9, 2020), https://www.americanbar.org/groups/public_education/publications/teaching-legal-docs/what-is-an-executive-order-/.

[5] Alex Lawson, Biden Urged to Take More Measured Tariff Approach, Law360 (Jan. 11, 2021).

[6] How a Biden Presidency Could Change U.S. Relations with the Rest of the World, Atlantic Council (Nov. 13, 2020); Swaha Pattanaik, Breakingviews – WTO Is Early Test of Joe Biden’s Multilateralism, Reuters (Nov. 9, 2020).

[7] The Biden Plan for Strengthening Worker Organizing, Collective Bargaining, and Unions, https://joebiden.com/empowerworkers/ (“Labor Plan”).

[8] Matthew Rothstein, Biden’s Election Day Win Has Revived Foreign Investment Interest in the U.S., BisNow (Nov. 15, 2020).

[9] The Biden Plan for a Clean Energy Revolution and Environmental Justice, https://joebiden.com/climate-plan/ (“Climate Plan”).

[10] The Biden Plan to Build a Modern, Sustainable Infrastructure and an Equitable Clean Energy Future, https://joebiden.com/clean-energy/ (“Infrastructure Plan”).

[11] Andrew Kragie, Biden’s Judges Will Likely Be More Liberal Than Obama‘s, Law360 (Nov. 30, 2020).