By Christian Funck

 

Der US-Supreme Court hat im vergangenen Jahr mit umstrittenen Urteilen für Aufregung gesorgt. Zu ihnen zählen auch zwei Urteile zur Religionsfreiheit. Bei einer sachlichen und juristischen Auseinandersetzung zeigt sich aber, dass es sich bei diesen beiden Urteilen um vertretbare Auslegungen amerikanischen Verfassungsrechts handelt.

Der Oberste Gerichtshof der USA hat im vergangenen Sommer mit mehreren umstrittenen Entscheidungen zur Religionsfreiheit, zum Waffenrecht, zum Abtreibungsrecht sowie zu den Kompetenzen der Umweltschutzbehörde für Aufregung und Empörung gesorgt. Nicht wenige sehen in den Entscheidungen einen Beleg für eine angebliche Radikalisierung des Supreme Court.

Zwei der umstrittenen Fälle betrafen die Religionsfreiheit und das Verhältnis zwischen Staat und Religion: Carson v. Makin und Kennedy v. Bremerton School District. Die verfassungsrechtliche Grundlage zur Religionsfreiheit und zum Verhältnis zwischen Staat und Religion findet sich im ersten Zusatzartikel zur US-Verfassung, in dem es heißt: „Congress shall make no law respecting an establishment of religion [„Establishment Clause“], or prohibiting the free exercise thereof [„Free Exercise Clause“] (…).“

Die „Free Exercise Clause“ gewährleistet die freie Religionsausübung und schützt vor einer ungerechtfertigten Ungleichbehandlung. Die „Establishment Clause“ schreibt eine Trennung zwischen Staat und Kirche vor. Der Staat darf danach weder eine Religion gegenüber einer anderen Religion noch religiöse gegenüber nichtreligiösen Weltanschauungen bevorzugen. Sinn und Zweck der religiös-weltanschaulichen Neutralität ist die Vermeidung religiöser Konflikte.

Darf der Staat religiöse und weltliche Privatschulen ungleich behandeln?

In dem einen Fall zur Religionsfreiheit, Carson v. Makin, ging es um ein Schulgeld-Unterstützungsprogramm im Bundesstaat Maine. In Schulbezirken, in denen es keine öffentliche Schule gibt, wurde jenen Eltern, die ihre Kinder auf eine Privatschule schicken, das Schulgeld bis zu einer bestimmten Höhe gezahlt. Das Programm war aufgrund von „Establishment Clause“-Bedenken auf nicht-religiöse Schulen begrenzt worden.

Der Supreme Court bejahte mit 6 zu 3 Stimmen eine Verletzung der „Free Exercise Clause“. Der Ausschluss diskriminiere religiöse Privatschulen. Der Staat müsse private Bildung nicht subventionieren. Wenn er dies aber tue, könne er nicht bestimmte Privatschulen allein aus dem Grund ausschließen, dass diese religiös sind. Der Ausschluss religiöser Privatschulen sei nach der Verfassung auch nicht erforderlich. Nach einer Entscheidung aus dem Jahr 2002 (Zelman v. Simmons-Harris) stellen direkte staatliche Zahlungen an religiöse Schulen keinen Verstoß gegen die „Establishment Clause“ dar, wenn sie das Ergebnis einer unabhängigen und privaten Auswahlentscheidung sind. Das Interesse des Staates an einer noch stärkeren Trennung von Staat und Kirche als es die US-Verfassung gewährleistet, werde jedoch durch die „Free Exercise Clause“ begrenzt. Das Programm sei auch nicht zur Finanzierung eines Äquivalents zu öffentlicher Schulbildung gedacht. Dies zeige sich auch an den zahlreichen und wesentlichen Unterschieden, die zwischen öffentlichen Schulen und nicht-konfessionellen Privatschulen bestehen. So müssten private Schulen nicht alle Schüler annehmen und der an weltlichen Privatschulen vermittelte Lehrstoff müsse dem Unterricht an öffentlichen Schulen nicht einmal ähneln. Außerdem müssten teilnehmende Schulen keine staatlich geprüften Lehrer anstellen.

Stephen Breyer vertrat in einem von ihm verfassten Sondervotum die Ansicht, dass man dem Gesetzgeber in den Bundesstaaten einen gewissen Spielraum einräumen sollte. Auch wenn die Beteiligung religiöser Schulen am Schulgeld-Unterstützungsprogramm nach der „Establishment Clause“ erlaubt sei, müsste diese aber dennoch nicht nach der „Free Exercise Clause“ erforderlich sein. Wenn der Staat in seinem öffentlichen Schulsystem Religion fördere, bestehe die Gefahr gesellschaftlicher Konflikte. Dies zu verhindern, sei der Zweck der Religionsklauseln. Sonia Sotomayor kritisierte in ihrem Sondervotum zudem, dass die Trennung von Staat und Kirche durch die Entscheidung des Gerichts zum Verfassungsverstoß werde und ein Staat nun keine Subventionen anbieten könne, ohne verpflichtet zu sein, religiöse Aktivitäten zu finanzieren.

Interesse an Trennung von Staat und Kirche über die “Establishment Clause” hinaus?

Der Fall bewegt sich in einem Spannungsfeld. Zum einen hat der Staat ein berechtigtes Interesse an weltanschaulich-religiöser Neutralität. Dieses Interesse wird durch die „Establishment Clause“ verfassungsrechtlich geschützt. Die Trennung von Staat und Kirche ist zudem auch im Interesse der Kirchen, da sie vor der Vereinnahmung der Kirchen durch den Staat schützt. Ein Nicht-Ausschluss religiöser Schulen verstößt vorliegend – nach der Ansicht aller neun Richter – allerdings gar nicht gegen die „Establishment Clause“. Dies ist auch überzeugend, da an dem Schulgeld-Unterstützungsprogramm dann alle Privatschulen teilnehmen können und weder eine Religion einer anderen Religion noch eine religiöse einer nicht-religiösen Weltanschauung vorgezogen wird. Entgegen der von Stephen Breyer geäußerten Ansicht, ist es daher nicht nachvollziehbar, warum der Nicht-Ausschluss religiöser Privatschulen aus einem neutralen sowie für alle Privatschulen grundsätzlich offenen Schulgeld-Unterstützungsprogramm ein ähnliches Potential für gesellschaftlichen Streit bieten sollte wie das Fördern von Religion in öffentlichen Schulen.

Es ist zwar (mit den drei Abweichlern) juristisch vertretbar, den Bundesstaaten ein über die „Establishment Clause“ der Bundesverfassung hinausgehendes Interesse an einer Trennung von Staat und Kirche einzuräumen. Ein solcher Spielraum muss aber dort enden, wo ein Staat andere von der Bundesverfassung geschützte Rechte verletzt. Vorliegend ist es gut vertretbar, eine Diskriminierung und somit eine Verletzung der „Free Exercise Clause“ anzunehmen. Es ist zwar richtig, dass – wie Stephen Breyer anmerkt – an religiösen Schulen (eventuell) Inhalte oder Überzeugungen vermittelt werden, mit denen eine bestimmte Zahl von Steuerzahlern nicht übereinstimmt. Diese Möglichkeit besteht allerdings auch in Bezug auf nicht-konfessionelle Privatschulen. Soweit ein Bundesstaat bei den teilnehmenden Privatschulen einen gewissen – den öffentlichen Schulen entsprechenden – Standard sicherstellen will, könnte er dies beispielsweise durch verpflichtende Lehrpläne und Vorgaben für die Zulassung von Schülern tun.

Darf ein Highschool-Football-Coach nach dem Spiel auf dem Spielfeld beten?

In einem weiteren umstrittenen Fall zur Religionsfreiheit, Kennedy v. Bremerton School District (im Folgenden: Kennedy), ging es um einen Highschool-Football-Coach namens Joseph Kennedy, der seit Aufnahme seiner Tätigkeit im Jahr 2008 Gebete in der Umkleidekabine anführte und nach Spielende in der Mitte des Spielfeldes Motivationsreden mit Gebeten hielt. Als der Schuldistrikt hiervon Kenntnis erlangte, forderte er Kennedy im September 2015 dazu auf, diese religiösen Handlungen zu unterlassen. Kennedy stellte daraufhin sowohl seine „Locker-Room-Gebete“ als auch seine Motivationsreden nach Spielende ein.

Kennedy nahm aber dennoch nach drei Spielen im Oktober 2015 an der Mittellinie kniend ein stilles Dankgebet vor. An diesen Gebeten waren teilweise andere Personen, jedoch keiner seiner Spieler beteiligt. Der Schulbezirk vertrat die Auffassung, dass ein verständiger Dritter den Schluss ziehen könne, dass der Schulbezirk Kennedys religiöse Überzeugungen befürworte. Aufgrund der drei Gebete verlängerte der Schulbezirk den Jahresvertrag mit Kennedy wegen einer möglichen Verletzung der „Establishment Clause“ nicht. Anders als in zahlreichen Medienbeiträgen berichtet wurde, bestand bezüglich der Tatsachen kein Dissens zwischen der Mehrheits- und der Minderheitsmeinung.

Der Supreme Court sah darin mit 6 zu 3 Stimmen eine Verletzung der „Free Exercise Clause“ sowie der „Free Speech Clause“. Auch (staatlich angestellte) Lehrer könnten sich – wenn auch nur begrenzt – auf diese Rechte berufen. Die erste Frage sei, ob die Handlungen privater Natur oder dem Staat zurechenbare „Government Speech“ seien. Die Richtermehrheit qualifizierte Kennedys Handlungen als solche privater Natur. Kennedy habe bei den drei Gebeten nicht im Rahmen seiner Verpflichtungen als Trainer gehandelt, da er nach dem Spiel nicht mit der Instruktion von Spielern oder taktischen Anweisungen beschäftigt, sondern frei darin gewesen sei, kurz persönliche Dinge zu erledigen. Andernfalls könne man auch einer muslimischen Lehrerin das Tragen des Kopftuchs verbieten oder stille Tischgebete in der Schul-Cafeteria untersagen. Zweitens sei jedoch zu fragen, ob trotzdem die Interessen des Dienstherrn diejenigen des Angestellten überwiegen würden. Hierfür sei jedoch ein zwingendes Interesse erforderlich, welches nicht dargelegt worden sei. So gebe es beispielsweise keine Hinweise auf die Nötigung von Spielern.

Richterin Sonia Sotomayor sah in ihrem Sondervotum in der staatlichen Billigung des Verhaltens des Football-Trainers jedoch einen Verstoß gegen die „Establishment Clause“. Die weltanschaulich-religiöse Neutralität des Staates sei im öffentlichen Schulwesen besonders wichtig. Zudem bestehe in Schulen ein großes Risiko eines Gruppenzwangs und Schüler suchten die Anerkennung ihres Trainers und seien von diesem auch abhängig. Die Gebete nach den letzten drei Spielen vor der Suspendierung dürften auch nicht isoliert bewertet werden, vielmehr müssten der Kontext und die Vorgeschichte berücksichtigt werden. Kennedys Gebet sei zudem weder durch die Meinungs- noch die Religionsfreiheit geschützt, da Kennedy in amtlicher Funktion gehandelt habe und sein Gebet förmlicher Bestandteil einer schulischen Veranstaltung gewesen sei.

Distanz oder Offenheit und Pluralität?

Auch bei Kennedy handelt es sich um eine nach US-Recht juristisch vertretbare Entscheidung. Bezüglich der Frage, ob Kennedy bei seinen drei „Postgame-Gebeten“ als privater Bürger handelte oder nicht, kann man jedoch geteilter Auffassung sein.

Im Sondervotum wird darauf verwiesen, dass Kennedy sich auf staatlichem Gelände befand, das er nur aufgrund seiner Tätigkeit als Football-Couch überhaupt betreten durfte. Sein öffentliches und demonstratives Gebet habe Kennedy zudem im Rahmen einer schulischen Veranstaltung vorgenommen. Ferner sei er als Trainer auch nach dem Spiel aufsichtspflichtig gewesen.

Auf der anderen Seite kann man persönliche religiöse Handlungen nicht ohne Weiteres dem Staat zurechnen. Diese Sichtweise der Gerichtsmehrheit ähnelt auch der des Bundesverfassungsgerichts. Dieses hatte sich beispielsweise im Rahmen der sogenannten „Kopftuch-Entscheidungen“ mit der Frage zu beschäftigen, inwieweit der Staat aufgrund seiner Verpflichtung zu weltanschaulich-religiöser Neutralität in die Religionsfreiheit seiner Angestellten oder Beamten eingreifen kann. In seiner zweiten Kopftuch-Entscheidung aus dem Jahr 2015 entschied das Bundesverfassungsgericht, dass die weltanschaulich-religiöse Neutralität nicht im Sinne einer Distanz, sondern im Sinne von Offenheit und Pluralität zu verstehen ist. Die negative Religionsfreiheit der Schüler rechtfertige ein Verbot religiöser Kopfbedeckungen für Lehrer auch nicht, da kein Recht auf Verschonung von Konfrontation bestehe. Auch wenn eine Konfrontation unausweichlich sei, sei diese nicht von der Schulbehörde veranlasst worden.

Subsumiert man den Kennedy-Fall unter diese Maßstäbe, wäre wohl auch unter dem Grundgesetz eine Verletzung der Religionsfreiheit durch die Schulbehörde zu bejahen. Kennedy war zudem kein Beamter, dem eine besondere Treuepflicht abverlangt werden kann, sondern besaß lediglich einen verlängerbaren Jahresvertrag. Die negative Religionsfreiheit der Schüler war im Kennedy-Fall – wenn überhaupt – lediglich schwach berührt. Denn nach Ende des Spiels konnten sie ihrem Trainer und damit einer Konfrontation mit seiner – zeitlich zudem stark begrenzten – Religionsausübung leicht aus dem Weg gehen. Anders als beispielsweise ein Richter übt ein Schul-Football-Trainer zudem auch keine klassisch hoheitliche Tätigkeit aus.

Es lässt sich kontrovers darüber streiten, ob man im Einzelfall der Religionsfreiheit des Lehrers oder der Trennung von Staat und Religion den Vorrang einräumen sollte. Wenn sich ein Gericht in einem „Kopftuchfall“, dem Fall eines Kippa-tragenden Lehrers oder eines stillen Dankgebets eines Football-Trainers aber für den Vorrang der Religionsfreiheit entscheidet, ist dies sowohl nach US-Recht als auch nach deutschem Recht grundsätzlich vertretbar.

 

Der Autor: 

Christian Funck, LL.M. (George Washington University), Wirtschaftsjurist (Univ. Bayreuth) ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Öffentliches Recht (Prof. Dr. Hillgruber) an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn und Mitglied der Deutsch-Amerikanischen Juristenvereinigung.

 

Responsible Editor: 

Isabel Cagala, TLB Co-Editor-In Chief