By Bartosz Kiwka

„The Best of Both Worlds“ – hiermit wirbt oft die Schiedsgerichtsbarkeit. Und in der Tat: Die Schiedsgerichtsbarkeit hat sich als Forum zur Streitbeilegung bewährt, indem sie das Beste aus common law und civil law zu verbinden und das prozessrechtliche Spannungsverhältnis beider Rechtskreise im Interesse des internationalen Rechtsverkehrs aufzulösen versucht. Gemäß einer von der Queen Mary University London und White & Case in diesem Jahr durchgeführten Studie zum Thema „Adapting Arbitration to a changing world“[1] benennen 90 % der Beklagten die Schiedsgerichtsbarkeit als die beste Form der Streitbeilegung für grenzüberschreitende Streitigkeiten.

 Commercial Courts an deutschen Gerichten

Parallel soll nun durch die Einrichtung von Commercial Courts an deutschen ordentlichen Gerichten eine Alternative zur außergerichtlichen Streitbeilegung für internationale und größere wirtschaftsrechtliche Streitigkeiten geschaffen werden. Die seit etlichen Jahren mal mehr, mal weniger energisch verfolgten Bemühungen der staatlichen Justiz, die im Koalitionsvertrag 2021 immerhin in einem Satz[2] Ausdruck gefunden haben, werfen allerdings noch eine Fülle von prozessualen Fragestellungen auf. Ohnehin sind die deutschen Bemühungen nur eine deutsche Spielart der internationalen Commercial Courts, werden doch lediglich Eingangsinstanzen an deutschen Landgerichten geschaffen. Am Thanksgiving-Tag 2021, dem 25. November, lud die DAJV im Hinblick auf die offenen Fragen in den Räumlichkeiten von White & Case in Frankfurt zu einer Diskussionsveranstaltung im Format des Fireside Chats zum Thema Commercial Courts ein.

Die Diskussionsrunde am virtuellen Kamin (v.l.n.r.): Dr. Alexandra Diehl, Dr. Markus Burianski, Dr. Patrick Melin und Dr. Reinhard Müller.

Commercial Court Stuttgart/Mannheim

Nach begrüßenden Worten von Prof. Dr. Dr. h.c. Thomas Pfeiffer stellte Dr. Patrick Melin, Vorsitzender Richter der Stuttgarter Commercial Court-Kammer, einleitend das Projekt Commercial Court Stuttgart/Mannheim vor und zeigte, wie die Justiz ein attraktives Angebot für international commercial litigation schaffen möchte, indem sie die Vorteile der Schiedsgerichtsbarkeit für die internationale Streitbeilegung aufgreift und in Verfahren vor deutschen Gerichten umsetzt. Schiedsrechtsexperte Dr. Markus Burianksi stellte anschließend in seinem Eingangsstatement die Gründe für die hohe Präferenz der Schiedsgerichtsbarkeit aus User-Sicht dar und machte unter anderem auf die internationale Vollstreckbarkeit der Schiedssprüche und die Vermeidung nationaler Rechts- und Gerichtssysteme aufmerksam – Bedürfnisse, welche Commercial Courts aus seiner Sicht wohl nicht befriedigen können.

Besondere Fachkompetenz

Die folgende Diskussion wurde moderiert von Dr. Alexandra Diehl, ebenfalls Expertin für Verfahren vor Schieds- wie vor ordentlichen Gerichten, sowie von Dr. Reinhard Müller bei der FAZ verantwortlich für „Zeitgeschehen“, die Rubrik „Staat und Recht“ und das Format F.A.Z. Einspruch. Im Zentrum der ersten Fragerunde stand die von Melin besonders betonte Fachkompetenz der ausgewählten Richterinnen und Richter am Commercial Court. Die Panelisten setzten sich intensiv mit den Argumenten ihres Gegenübers zu der Frage, ob die staatliche Justiz in demselben Maße wie die Schiedsgerichtsbarkeit nicht nur das wirtschaftsrechtliche Know-how sondern auch die erwartete Flexibilität in der Verfahrensführung sowie die gewünschte Intensivität der Befassung mit den streitgegenständlichen Fällen gewährleisten kann, auseinander. Sodann ging die Diskussion zum Spannungsverhältnis zwischen der Vertraulichkeit des Verfahrens und der Rechtsfortbildung im außergerichtlichen Verfahren über.

Prozessuale Besonderheiten

Bei Themen wie den Verfahrenskosten und der Verfahrensdauer wurde deutlich, dass prozessuale Besonderheiten unterschiedlich von den Vertretern der beiden Systeme bewertet werden. So wurde beispielsweise die fehlende zweite Instanz in der Schiedsgerichtsbarkeit von Burianski als klarer Vorteil gegenüber dem staatlichen Instanzenzug gesehen, während Melin eben diesen als Stärke der staatlichen Gerichtsbarkeit betonte. Dabei zeigte sich im Laufe des Dialogs aber auch immer wieder, dass Schieds- und Gerichtsverfahren sicherlich als Komplementäre nebeneinander agieren können. Auch wenn der staatlichen Gerichtsbarkeit gewissen Grenzen gesetzt sind, kann sie durchaus ein Angebot im Bereich der internationalen Streitbeilegung machen. Viele Befürworter der Commercial Courts betonen zudem, dass die durch den Erfolg der Schiedsgerichtsbarkeit hervorgerufene fehlende Begleitung großer Teile des Wirtschaftslebens durch die staatliche Gerichtsbarkeit gravierende Auswirkungen auf die rechtsstaatliche Ordnung habe, denen begegnet werden müsse[3]. Durch die dritte Gewalt, die Justiz, verwirklicht der Staat seinen Auftrag, für eine freiheitlich demokratische Grundordnung der Gesellschaft zu sorgen. Marktlösungen können diesen Auftrag nach Ansicht einiger nur ansatzweise erfüllen[4], auch Melin brachte dies in der Fireside-Chat-Runde zum Ausdruck.

Standortvorteile, Zwei-Klassen-Justiz und Vollstreckbarkeit

Anschließend hatte auch das Publikum, welches teils in Präsenz und teils online an der Hybrid-Veranstaltung teilnahm, die Gelegenheit, an der Diskussion teilzunehmen. Es überraschte nicht, dass im Fokus der Fragen ganz überwiegend der Commercial Court stand. Neben der Performance der staatlichen Gerichtsbarkeit in der Verfahrensführung selbst, wurden auch Themen wie etwa der Umgang mit der oft beklagten Überlastung der Justiz oder der Kostendeckungsgrad hinterfragt. Im Weiteren dreht sich die Debatte unter anderem um die Zuständigkeit der Commercial Courts, aber auch um tatsächliche Gegebenheiten, wie etwa die Standortvorteile anderer Staaten im internationalen Rechtsverkehr. Ein gewichtiger Punkt war in diesem Zusammenhang auch die Anwendung des deutschen materiellen Rechts, insbesondere mit Blick auf die fehlende Vorhersehbarkeit im AGB-Recht. Seitens des Publikums wurde immer wieder die Gefahr einer Zwei-Klassen-Justiz angesprochen, welche durch das besondere Interesse an den „High-End-Geschäften“ im Unternehmenskaufvertrags- und Gesellschaftsrecht an den Commercial Courts entstehen könnte. Abgeschlossen wurde die Diskussion mit Fragen zu der noch unbefriedigenden Möglichkeit der Anerkennung und Vollstreckbarkeit gerichtlicher Urteile im außereuropäischen Raum. Diesbezüglich bislang noch ein klarer Vorsprung für die Schiedsgerichtsbarkeit.

Befürworter in der Anwaltschaft

Insgesamt wurde dabei deutlich, dass seitens des Publikums noch viel Klärungsbedarf bezüglich des Angebots der staatlichen Gerichtsbarkeit besteht, um den status-quo-bias zugunsten von Schiedsgerichten überwinden zu können. Melin leistete als Vertreter der Commercial Courts daher mit der Beantwortung der kritischen Fragen einen wichtigen Beitrag dazu, offene Punkte zu dem neuen Ansatz der staatlichen Justiz im internationalen Rechtsverkehr zu klären und die Attraktivität des Angebots zu fördern. Nicht außer Acht gelassen sollte dabei auch die Tatsache, dass der Ruf nach Commercial Courts, beginnend mit dem Wunsch der Einführung der Verfahrensführung in englischer Sprache, auch aus der Anwaltschaft kam.

Gegenseitige Befruchtung beider Systeme

Zusammengefasst wurden die Erkenntnisse der Diskussion in einem round up von Pfeiffer, der nochmals das Spannungsfeld auf der einen aber auch die komplementäre Ergänzung der beiden Streitbeilegungsalternativen auf der anderen Seite betonte. Vorteile der Schiedsgerichtsbarkeit wie die Internationalität der Spruchkörper könne die staatliche Justiz nicht bieten. Dagegen spräche allerdings beispielsweise der engere Zugriff auf Zwangsmittel und Vorzüge im einstweiligen Rechtsschutz für die staatliche Gerichtsbarkeit. Auch wenn auf beiden Seiten noch viel Handlungsbedarf bestünde, begrüßte Pfeiffer unter dem Gesichtspunkt der Wahlfreiheit und der gegenseitigen Befruchtung das Angebot der Justiz neben der Schiedsgerichtsbarkeit.

Nachdem die Debatte schon passend zu Thanksgiving in gemütlicher Kaminfeueratmosphäre stattfand, durfte selbstverständlich auch ein kleiner Imbiss im Anschluss nicht fehlen, bei welchem sich die Teilnehmenden noch weiter über die aufgekommenen Themen austauschen konnten.

 

Der Autor:

Bartosz Kiwka ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Zivilverfahrensrecht und Wirtschaftsrecht von Prof. Dr. Wolfgang Voit an der Universität Marburg.

Responsible Editor:

Isabel Cagala, TLB Co-Editor-in-Chief

 

[1] Die Studie ist hier verfügbar: https://www.whitecase.com/publications/insight/2021-international-arbitration-survey

[2] Der Satz lautet: „Wir ermöglichen englischsprachige Spezialkammern für internationale Handels- und Wirtschaftsstreitigkeiten“ und findet sich auf Seite 106 des Koalitonsvertrages, abrufbar z.B. unter https://www.tagesspiegel.de/downloads/27829944/1/koalitionsvertrag-ampel-2021-2025.pdf

[3] So z.B. Podszun/Rohner in: Staatliche Gerichte für wirtschaftsrechtliche Streitigkeiten stärken: Ein „Düsseldorf Commercial Court als Antwort auf den Brexit, November 2017, S. 18, abrufbar unter https://www.jura.hhu.de/fileadmin/redaktion/Fakultaeten/Juristische_Fakultaet/Podszun/Podszun_Rohner_Paper_Staatliche_Gerichte_staerken.pdf.

[4] Vgl. Hoffmann, Kammern für internationale Handelssachen, 2011, S. 127.